Vorschlag für eine Entwicklungsstrategie Gedenkort Königstor
Das alte Polizeipräsidium am Königstor in Kassel wurde 1907 fertiggestellt und steht heute unter Denkmalschutz. Als Polizeidirektion bzw. Polizeipräsidium wurde es von 1907 – 1999 genutzt, in den Jahren 1933 – 1938 zudem als Gestapo-Zentrale. 1999 zog die Polizei aus und seither befindet sich das Gebäude in Zwischennutzung. Die jetzige Nutzung durch Hessen Kassel Heritage endet voraussichtlich im Verlauf des Jahres 2024. Gegenwärtig ist die zukünftige Verwertung in Vorbereitung. Hierüber sollte eine öffentliche und breit gefächerte Diskussion geführt werden.
Im August 2023 wandte sich ein Bündnis namhafter Vertreter der Stadtgesellschaft an das Land Hessen als Eigentümer und plädierten für die Schaffung eines Erinnerungsortes, welcher der ehemaligen Gestapostelle Kassel gewidmet ist. In den Jahren 1933-1945 haben
die bis zu 250 Mitarbeitern der Gestapostelle Kassel die über einen Millionen Einwohner im damaligen Regierungsbezirks Kassel überwacht. Über 10.000 nicht regimekonformen Personen wurden entrechtet und verfolgt, viele davon ermordet.
Das ehemalige Polizeipräsidium mit einer Gesamtgeschossfläche von 7.580m² ist deutlich zu groß, um in Gänze als Gedenkort zu dienen. Vergleichbare Einrichtungen wie das Hotel Silber in Stuttgart, der Rote Ochse in Halle oder das El-De-Haus in Köln sind signifikant kleiner.
Zugleich hat es sich nicht bewährt, einen solchen Erinnerungsort in ein anders ausgerichtetes, kommerzielles Nutzungskonzept einzubetten und dies dem unterzuordnen, wie es beim Stadthaus Hamburg versucht worden ist.
Für Kassel schlagen wir daher vor, den Zellentrakt im Westflügel des ehemaligen Polizeipräsidium (vier Vollgeschosse zzgl. Keller und Dachgeschoss mit insgesamt ca. 750 qm BGF) als Kernbereich der Erinnerungsortes zu sichern und von anderen Nutzung freizuhalten.
Die Nutzung dieses Gebäudeteils als Erinnerungsort kann je nach verfügbaren Ressourcen in unterschiedlicher Intensität erfolgen:
- Die schlankeste Form wäre es, den Gebäudeteil technisch zu sichern und für Besichtigungen/ Führungen und evtl. künstlerisch/ performative Interventionen zur Verfügung zu stellen. Hierbei wird also auf bauliche Veränderungen weitestgehend verzichtet, der Ort als authentisches Artefakt der Geschichte gesichert und öffentlich zugänglich gemacht.
- Nach Möglichkeit kann ein Um- und Ausbau des Gebäudeteils, in Teilen oder als Ganzes, schrittweise oder in einem Zuge erfolgen. Module einer solchen Umgestaltung und Umnutzung können dabei sein:
- Dauerausstellung
- Wechselausstellungsbereich
- Seminar-, Workshop- und Veranstaltungsbereich (u.a. für politische Bildungsarbeit, Gruppenräume für Schulklassen, demokratische Initiativen/ ‚Haus der Demokratie‘)
- Infrastruktur: Büros, Archiv/ Lager, Toiletten, Garderobe, Foyer
- Teile des übrigen Gebäudes wurden ebenfalls von der Gestapo genutzt. Es wäre daher wünschenswert, auch hier Räumlichkeit für die Erinnerungsarbeit (mit) zu nutzen, insbesondere um der Täterseite (incl. „Schreibtischtäter“) hinreichend Platz zu widmen. Der Gefängnisflügel alleine wiederum würde hierfür nicht ausreichen, da er deutlich kleiner ist als die Einrichtungen an vergleichbaren historischen Stätten im Köln, Stuttgart und Halle.
- In jedem Szenario ist es zudem Geboten, den historischen Sachverhalt zu erforschen, einerseits durch Archivarbeit, andererseits durch Untersuchungen des Gebäudes selbst. Für jede Art der Vermittlung ist essenziell zu wissen, wo welche Nutzungen verortet waren, wo sich was ereignet hat, aus welcher Zeit die materiellen Spuren am Gebäude stammen und was diese von der vergangenen Geschichte veranschaulichen.
- Die Entwicklung des Gedenkortes ist abhängig von verfügbaren Ressourcen, sie kann schrittweise erfolgen. In die Entwicklung der Konzeption sollten von Anfang an die interessierte Stadtöffentlichkeit, zivilgesellschaftliche Akteure und Vertreter von Opfergruppen rechtsradikaler, rassistischer und antisemitischer Gewalt einbezogen werden. Er ist zudem ratsam, in der Entwicklung der Konzeption die vorhandene Expertise von bereits bestehenden Gedenkorten nationalsozialistischen Terrors und Verfolgung einzubeziehen.
- Der Erinnerungsort sollte sich der Täter- wie die Opferseite der NS-Zeit widmen, aber auch neue Formen rechtsradikaler, rassistischer und antisemitischer Aktivitäten seit 1945 in Nordhessen adressieren. Wünschenswert wäre zudem, hier auch zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, Raum zu geben.
Es wird angeraten, das Gebäude nicht zu veräußern, sondern im öffentlichen Besitz zu halten. Während der Gedenkort im Zellentrakt in öffentlicher bzw. gemeinnütziger, staatlich finanzierter Trägerschaft verbleiben soll, wird angeraten auch das übrige Gebäude nicht zu veräußern, sondern in langfristiger Erbpacht an einen Dritten zur Nutzung zu übergeben.
Einer Vergabe an einen Nutzer, egal ob durch Pachtvertrag oder Verkauf, sollte ein öffentlicher Konzeptwettbewerb mit Vertretern der interessierten Stadtöffentlichkeit und zivilgesellschaftlicher Akteure, die sich für die Erinnerung an den NS-Terror und gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus engagieren, vorausgehen.
Stand: 5. April 2024